Die Koalition der bourgeoisen Boheme
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Schwarz/Grün macht Lust auf mehr

von Thomas Köhler 

Die Niederösterreichischen Landtagswahlen vom vergangenen Sonntag waren zwar nicht der Schwer,- sehr wohl aber der Brennpunkt der aktuellen Koalitionskrise auf Bundesebene. Ihr Ergebnis birgt Sprengkraft. Stets klarer wird: Vor oder nach dem Herbst wird gewählt. Wer mit wem regiert, klären die Parteien aber schon jetzt ab. Während sich die Arbeiterparteien aus Rot und Blau nicht nur in der Führung des aktuellen U-Ausschusses annähern, blicken Schwarz und Grün nach Deutschland. Was dort in Hamburg und für Berlin diskutiert wird, hätte auch für Wien Charme und Esprit: Eine Koalition quasi aus Bourgeoisie und Bohemiens.

Wie sich die Zeiten ändern: Als die sozialliberale „Initiative Christdemokratie (ICD)“ – ein Think Tank von rund 250 Meinungsführern in Politik und Verwaltung, Gesellschaft und Wirtschaft, darunter inzwischen auch Abgeordnete – im Herbst 1999 erstmals in den Medien dazu aufrief, eine Koalition aus Schwarz und Grün anzudenken, hatte man ihr Weltfremdheit vorgeworfen. Inner- und außerhalb der ÖVP, damals wie heute in der babylonischen Gefangenschaft einer den „Freiheitlichen“ in die Hände spielenden Großen Koalition, begegnete man dem Vorschlag mit Skepsis und Kritik, ja Hohn und Häme. Seit dem historischen Wahlsieg der ÖVP am 24. November 2002, ihrem „Heiligen Abend“ mit einem Plus von rund 15 Prozent, lugen die Schwarzen hingegen mit immer mehr Interesse in Richtung Grüne.

Neue Impulse kommen heute wieder von außen: Der aktuelle Flirt von Christlichen und „Ökologischen“ Demokraten in Deutschland lässt nicht nur Wilhelm Molterer immer öfter grüne Krawatten zum schwarzen Anzug tragen. Vielmehr stellen die Koalitionen aus Schwarz und Grün auf kommunaler Ebene in gewichtigen Städten wie Frankfurt oder Köln sowie die entsprechenden Verhandlungen in Hamburg und, ganz aktuell, in Hessen („Jamaica“) eine echte Alternative für Berlin dar, wo ebenso wie in Wien die Große Koalition nicht vom Fleck kommt. Auch dort arbeitet sie Extrempopulisten in die Hände, einer Arbeiterpartei allerdings nicht von rechts wie in Österreich, sondern von links.

Wolfgang Schüssel, der nach wie vor die Fäden der ÖVP in der Hand hält, hatte zwei Mal die Chance, Tabus zu brechen: mal nach rechts, mal nach links. Im Jahr 2000 „gelang“ das eine: durch eine Koalition mit den Extrempopulisten. Zwei Jahre später misslang ihm das andere: wegen der Ablehnung eines Bündnisses zwischen Schwarzen und Grünen durch deren strukturkonservative rechte bzw. linke Ränder.

Die Koalition mit den „Freiheitlichen“ hatte Schüssel international isoliert. Eine Regierung mit den Grünen hätte ihn vielleicht rehabilitiert. Bis heute gilt jedenfalls: Einer Kooperation aus ÖVP und „Linksliberalen“ (Wunsch Maria Vassilakous) stehen gerade Tradition und Auftreten des ehemaligen ÖVP-Obmanns entgegen. Was den „Günstling der Stunden“, nach wie vor eher kurzfristiger Taktiker denn langfristiger Stratege, wohl weniger stören wird. Andere vielleicht umso mehr. Insbesondere im Zuge der aktuellen Diskussion.

Dass in Bregenz oder Graz Schwarz und Grün koalieren, ist kein Geheimnis. Aber nicht nur die kommunale Ebene eint die wertkonservativen (wer bewahren will, muss verändern!) Flügel beider Parteien. Vielmehr verweist das aktuelle Hamburger Beispiel auf Höheres: von der Länder- auch auf die Bundesebene. Gerade weil ÖVP und österreichische Grüne gelegentlich verunsichert wirken, hat der Blick über die Grenzen immer wieder enorme Bedeutung. Er macht Mut zu Neuem. Nach den Beharrungsjahren durch Große Koalitionen wäre dies wichtiger denn je.

Viel Gemeinsames gibt es nicht nur in den Programmen: Die Bewahrung der Schöpfung seitens der ÖVP entspräche dem Klimaschutz seitens der Grünen. Eine ökologisch-soziale Marktwirtschaft, von Josef Riegler entworfen und vielen Grünen im Herzen, diente der Entlastung des Faktors Arbeit (eine Steuerreform, die das Wort verdiente). Niemand anders als Christdemokraten und Grüne (sicher aber nicht SPÖ und FPÖ) könnten glaubwürdiger für eine Erweiterung Europas im Allgemeinen und eine Vertiefung in Mitteleuropa (endlich kooperative Nachbarschaft) im Besonderen eintreten. Mit einer humanitären Migrationspolitik, von den Grünen immer schon gefordert, gelänge der ÖVP nicht nur der Schwenk zu ihrem christlichen Impetus in der Theorie, sondern auch zu den vielen ihr in der jüngeren Vergangenheit verloren gegangenen sozial engagierten Personen rund um Caritas und Diakonie in der Praxis. Sowie: Während SPÖ und FPÖ vor allem auf die Arbeiterschaft als Kernschichten zurückgreifen, wählen Bürgerliche, egal ob „bourgeois“- oder „bohemien“-orientiert, meistens entweder Schwarz oder Grün. Gerade in den Wahlen entscheidenden Städten. Schwarz/Grün also auch als Signal der Urbanität.

Wer immer in der ÖVP das Sagen hat oder haben wird. Allen wieder und wieder auftretenden Adepten der, wie hinlänglich bewiesen, in Österreich eher rechte als linke Extrempopulisten bedienenden Großen Koalition zum Trotz: Die Schwarzen werden ihre Chance haben, andere Fenster zu öffnen und Brücken zu schlagen. Wird die Courage der strukturell bündisch gefesselten Partei endlich dazu reichen? Eine FPÖ-gestützte SPÖ-Minderheitsregierung bis zum Herbst – seit „HC“ Straches vielsagendem Nicht-Dementi im ORF vom Sonntag leider aktueller denn je – wäre jedenfalls eine zusätzliche Motivation für Schwarz, zu neuen Ufern aufzubrechen, selbst wenn es dabei Stromschnellen zu überwinden gilt.

Um noch klarer zu werden: Die österreichischen Christdemokraten müssen, um der zukunftsträchtigen Definition und Perspektive ihres Programms nachhaltig gerecht zu werden, eben als Partei der Mitte ihr Potenzial auch nach „links“ ausschöpfen, also in Richtung Grüne. Denn eine politische Bewegung soll zu ihren Wählern zurückkehren – nicht umgekehrt. Der deutsche Flirt zwischen CDU und Grünen hätte als Beispiel und Vorbild Charme und Esprit nicht zuletzt für Österreich.

Dr. Thomas Köhler ist Historiker und Publizist. 2003 gab er gemeinsam mit Christian Mertens und Michael Spindelegger „Stromaufwärts. Christdemokratie in der Postmoderne des 21. Jahrhunderts“ (Böhlau) heraus. Es gilt als wichtiger Wegweiser für Schwarz/Grün. Im Herbst 2008 wird mit „Stromabwärts: In Mäandern zur Mündung. Christdemokratie als kreatives Projekt“ eine Fortsetzung erscheinen.

 
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