Neuer Kompass für die Volkspartei
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Gerade das Stuttgarter Beispiel zeigt der ÖVP, wie viele Wähler der Zivilgesellschaft zu den Grünen driften. 

Von Thomas Köhler

Ob in Wien, Stuttgart oder Brüssel - vielerorts ist von Krise die Rede. In Wien als Symbol für Bund, Land und Stadt leidet die ÖVP akut unter den aus Brüssel dringenden Affären, in Stuttgart gibt die deutsche Schwester der ÖVP nach mehr als 50 Jahren die Macht ab. Aus dem ÖVP-Klub des brüchigen Parlaments (Warum gestaltet Coop-Himmelb[l]au eigentlich das albanische und nicht das österreichische Hohe Haus neu?!) werden Wörter wie "Apathie" kolportiert, und Josef Pröll, auf den alles Heil projiziert wird, ist noch nicht zurück.

Dass "Krise" aus dem Altgriechischen stammt und "Chance" bedeutet, ist in Zeiten dumpfer Anglizismen freilich wenigen bekannt. Jeder Umbruch birgt indes Aufbruch in sich, jede Niederlage hat ein Potenzial zum Aufstieg.

Allein: Dabei sind Courage und Umsicht gefragt. Courage, sich Neuem zu stellen, und Umsicht, über Tellerrand und Schrebergartenzaun hinauszublicken.

Um Werte zu bewahren, heißt es Strukturen zu verändern. Sowohl in der Partei als auch im Staat. Für christ(lich-)demokratische Parteien gilt dies umso mehr, als sie sich im Gegensatz und Widerspruch zu nationalistischen, liberalistischen und sozialistischen Parteien der Trias aus jeweils christ(lich-)konservativer, christ(lich-)liberaler und christ(lich-)sozialer Ressource und Perspektive verschrieben haben. Wenn sich die ÖVP gerade (etwas verborgen) ein neues Grundsatzprogramm gibt, hätte sie auf diese Trias als Basis und Horizont Bedacht zu nehmen. Denn Offenheit braucht einen Standpunkt, andernfalls ist sie beliebig.

Dass das bündische System in der Partei und der föderale Apparat im Staat - deren Kind pars pro toto den Namen "Strasser" trägt - nicht mehr tauglich sind, um nachhaltig Effektivität zu garantieren, wissen längst alle, die klugen Willens sind. Dass zweitens, wenn nach Veränderung und Verbesserung gerufen wird, eine Koalition der (leider) nach wie vor berufsständischen ÖVP mit den "Arbeiterparteien" SPÖ und FPÖ in die Irre führt, wird ebenso immer deutlicher. Die Frucht einer (noch) Großen Koalition hieße "Strache2", die Folge für die ÖVP entweder "Partner" unter der FPÖ oder Opposition.

Gerade das Stuttgarter Beispiel zeigt der ÖVP drittens, wie viele Wähler der Zivilgesellschaft zu den Grünen driften, wenn nicht zeitgerecht tragfähige Brücken zwischen Christdemokratie und Grün zum Zweck einer "bürgerlichen Koalition" geschlagen werden. Ein Verlust von Identität (Ansporn) und Potenzial (Macht) wären andernfalls die Folge.

Und wenn manche Protagonisten von "rechts" und "links" in Politik wie Medien gegen eine derartige Veränderung von Partei- und Staatsapparat sowie des notorischen Festhaltens an der Großen Koalition in hysterische Warnrufe ausbrechen, sollte das erst recht dazu motivieren, sich um einen zivilen Kurs abseits veralteter politischer Muster zu bemühen.

Dass so ein "neuer bürgerlicher Kompass" der ÖVP automatisch auch wieder mehr Zugang zu intellektuellen und künstlerischen Schichten und damit umfassenderen Zugang zur veröffentlichten Meinung brächte, wäre ein weiteres Argument für Wertkonservative dafür bzw. für Strukturkonservative dagegen.

Zwei Jahre vor den nächsten Nationalratswahlen steht die ÖVP jedenfalls als mehr oder weniger (ge)wichtiger mitteleuropäischer Teil einer sich als christdemokratisch bezeichnenden Europäischen Volkspartei vor der dringlichen Aufgabe, ihre Bürgerlichkeit aufzuklären - durch eine Reform nicht nur ihres Programms, sondern auch ihres Statuts (Bünde) sowie der Koalition und des Staats (Födus) - und damit den Weg aus ihrer selbst verschuldeten Unmündigkeit kantig zu nehmen.

THOMAS KÖHLER, in den frühen 90er-Jahren Berater von Erhard Busek, ist Bereichsleiter für Kreativitätsförderung im Bildungsministerium und Mitgründer der sozialliberalen "Initiative "Christdemokratie" im Rahmen der ÖVP.

 
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