Ordnung muss sein |
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Etwas links und viel rechts – die ÖVP will in der Zuwanderungsdebatte alles abdecken. Doch hinter dem Doppelspiel drängt der liberale Wirtschaftsflügel auf offene Grenzen. Fernsehtante Arabella Kiesbauer, sympathische Vorzeigezuwanderer und ein sanfter Innenminister. Die Präsentation des Integrationsberichts von ÖVP-Minister Günther Platter vergangenen Jänner hatte zwar etwas von einer Las-Vegas-Show, aber die Töne in der Zuwanderungsdebatte waren neu – besonders für einen ÖVP-Politiker, der sich bis dahin mit Law-and-Order-Politik hervorgetan hatte. Der von renommierten Experten mitverfasste Bericht brachte erstmals eine Bestandsaufnahme der Probleme, mit denen sich Zuwanderer in Österreich herumschlagen müssen, und zahlreiche Ideen, wie man damit umgehen könnte. Danach folgte Platters 450.000 Euro teure, aber belanglose Integrationskampagne – und nichts weiter. Jetzt, pünktlich zu Wahlkampfbeginn, kommt Platters Chef Wilhelm Molterer auf den Plakaten mit den alten Tönen daher: „Ohne Deutschkurs keine Zuwanderung.“ Und seine neue Innenministerin, Maria Fekter spielt mit ihrer Forderung nach „schnelleren Abschiebungen“ die Hüterin des Asylrechts. Harte Slogans, die auch den FPÖ-Wählern gefallen könnten. Die ÖVP-Strategen wissen genauso wie jene von der SPÖ, dass es bei dieser Wahl vor allem darum geht, nicht zu viele Unzufriedene an die Blauen zu verlieren. Die Schwarzen versuchen es mit einem Spagat zwischen den weltoffenen Großstädtern und den frustrierten Wohlstandsverlierern – wobei sie derzeit mehr nach rechts schauen. „Dieser Spagat ist eher wahltaktisch und bedeutet keinen Rechtsruck. Viele Leute suchen eben nach Schwarz-Weiß-Aussagen“, meint Christian Mertens, Mitbegründer der „Initiative Christdemokratie“, eines Nachdenkzirkels am liberalen Rand der ÖVP. Die Volkspartei hat für ihr klassisches Doppelspiel das richtige Personal. Generalsekretär Hannes Missethon versorgt mit seinen Wirtshausparolen die rechte Seite. Der Ottakringer Brunnenmarkt sei zum Ausländerghetto verkommen, und man müsse „über Quoten für Bezirke nachdenken“, sagt er (siehe Seite 12). Wiens ÖVP-Obmann und Wissenschaftsminister Johannes Hahn bedient die Liberalen. „Ohne Zuwanderung sehen wir bald ziemlich alt und klein aus“, schreibt er in einem Falter-Kommentar vergangene Woche. Doch selbst der als weltoffen geltende Hahn macht einen harschen Vorschlag: Zuwanderer sollten sich zur Einhaltung von „grundlegenden Wertehaltungen“ verpflichten, „werden diese Wertehaltungen verletzt, tritt ein Sanktionssystem im Bereich von Leistungen der öffentlichen Hand in Kraft – zum Beispiel bei den Sozial- und Familienleistungen.“ Solche Ideen sind kaum dafür geeignet, Frauen vor Gewalt und Zwangsehe zu schützen oder Kinder ans Gymnasiums zu bringen – Familien leiden als Erstes darunter, wenn dem Vater das Geld gestrichen wird, weil er sich einfach nicht um „Wertehaltungen“ kümmert. Hahn muss anscheinend darauf achten, im Wahlkampf nicht als zu links dazustehen. Die schwarze Double-Speach-Strategie funktionierte schon unter Platters Vorgängerin, Innenministerin Liese Prokop. Im Wahlkampf 2006 machte sie mit einer Studie über „integrationsunwillige Muslime“ Stimmung gegen den Islam; gleichzeitig nutzen ÖVP-Politiker die patriarchalische Haltung vieler traditionell geprägter Migranten, um in diesem Lager auch nach Stimmen zu fischen. Damit haben die Bürgerlichen der Linken mittlerweile ihre einstige Themenführerschaft im Zuwanderungsbereich abgejagt – die Sozialdemokraten waren auch nur zu gerne bereit, das heikle Thema abzugeben. Heute reden de facto nur noch die Wiener Genossen mit, wenn es um Integrationsfragen geht. Kernpunkt der ÖVP-Zuwanderungspolitik ist der Ausbau des österreichischen Integrationsfonds, der dem Innenministerium unterstellt ist und zur Drehscheibe für immer mehr Projekte wird. Unabhängige Forscher aus dem großteils rot-grünen Lager werden hingegen nur selten zur Mitarbeit eingeladen – der Integrationsbericht Platters stellte eine Ausnahme dar. Die ÖVP hat sich die Deutungshoheit in der Ausländerpolitik auch erobert, weil sie einem europäischen Trend folgt. Unter den konservativen Parteien Europas hat sich in den vergangenen Jahren eine Sichtweise durchgesetzt, die Integrationsfragen in ein breiteres, moderneres Verständnis von Sicherheitspolitik einbindet. Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel macht so ein Modern-Governance-Modell vor: Ihre Regierung positioniert sich in der Zuwanderungsfrage Mitte-links. In Österreich könnte die ÖVP so das Caritas-Lager, den Wirtschaftsflügel und die jungen Angestellten gleichermaßen ansprechen. Denn die verschiedenen Lager in der ÖVP – von den Bauern bis zu den Unternehmern – bilden traditionell ein extrem inhomogenes Meinungsspektrum. Diese unterschiedlichen Sichtweisen versucht Molterer auch mit seiner Links-rechts-Strategie zu vereinen. Doch hinter der Taktik setzt sich bei den Schwarzen ein neuer Pragmatismus im Umgang mit den Ausländern durch, der nicht der reinen christlichen Nächstenliebe entspringt, aber auch nicht bei Missethons Ausländerbashing mitmachen will. Dem Wirtschaftsflügel geht es vor allem um dringend benötigte Facharbeiter und hochqualifizierte Schlüsselkräfte, die den Standort Österreich sichern sollen. Wirtschaftsminister Martin Bartenstein holte etwa 2007 mit einer Sonderquote 800 Schweißer, Dreher und Fräser ins Land – die waren am heimischen Markt nicht mehr zu finden. Wirtschaftskammer-Generalsekretär Reinhold Mitterlehner wagte damals auszusprechen, wovor sich die meisten Politiker lieber drücken: Österreich sei ein Zuwanderungsland. Derzeit habe allerdings jeder dritte Betrieb Probleme, Facharbeiter zu finden. Qualifizierte Arbeitnehmer gehen lieber nach Kanada oder in die USA. Markus Beyrer, sein Kollege von der Industriellenvereinigung, schlug zur gleichen Zeit Alarm: „Schon heute behindern der herrschende Fachkräftemangel, eine zu geringe Anzahl an Graduierten und eine rigide Migrationspolitik die Industrie beim Wachsen.“ Die Wirtschaftsleute machen sich Sorgen um das nicht gerade ausländerfreundliche Image Österreichs. Ihre Forderungen: Man soll um qualifizierte Zuwanderer werben, ihnen ein transparentes Einwanderungssystem mit klaren Kriterien wie in Kanada bieten oder den Migranten im Land mehr Bildung ermöglichen. Im Wahlkampf halten sich Mitterlehner und Co mit ihrer Positionierung derzeit allerdings zurück. Für die Zuwanderer werden die Wirtschaftsliberalen zu den Türöffnern nach Österreich, quasi über den Hintereingang. „Der geschlossene, staatsfixierte Block in der ÖVP, die Bauern und Bünde, wollen keine Öffnung nach außen. Sie bringen bei der Wahl aber die Stimmen“, sagt der Migrationsforscher Bernhard Perchinig. Daher mache die ÖVP für sie jetzt symbolische Politik. Doch im Hintergrund arbeiten die offenen Bürgerlichen an Plänen, um die Hindernisse für Zuwanderer zu beseitigen. Eines ihrer Ziele: den Arbeitsmarkt für Fachkräfte aus den neuen EU-Ländern so schnell wie möglich öffnen. Bei solchen Perspektiven sollte ÖVP-Chef Molterer sein „Ohne Deutschkurs keine Zuwanderung“-überdenken. Die Fixierung aufs Deutschlernen ist ohnehin mehr eine Geste an die „echten“ Österreicher. Die Sprachkurse treffen vor allem eine Minderheit der Zuwanderer – nur 7000 bis 8000 Familienmitglieder von Drittstaatsangehörigen, die jährlich nach Österreich dürfen.
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