Bruno I.: Größer wird er nimmer
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Von Thomas Köhler

Mediale Verdrängung und Inferiorität angesichts einer zur Figur gewendeten Person

Noch nie war Österreich so klein wie heute. Selten zuvor erklang sein Ruf nach Personen oder Figuren, die ihm bewusst oder unbewusst Größeres versprachen, so laut wie jetzt: Am Beispiel Bruno Kreiskys, eines apostrophierten „Königs“, dem „links“ wie „rechts“ geradezu unterwürfig gehuldigt wird, fokussiert das aktuelle Österreich seinen Wunsch nach dem verlorenen Platz an der „Sonne“ und offenbart sein gegenwärtiges Mittelmaß. Mehr denn je aus der bzw. in die Vergangenheit projiziert Freuds Land alles Heil seiner selbst und wird zum lebenden Echo eines toten Narziss.

Valerie Giscard d’Estaing, dem französischen Staatspräsidenten der 1970er Jahre, wird die Aussage zugeschrieben: „Österreich ist kein kleines Land. Österreich ist ein großes Land – mit kleinem Territorium.“ Mit diesen Worten streute Giscard, obwohl oder gerade weil er Österreich schätzte, Salz in die Wunden eines 1918, nach international renommierten Historikern wie Jean Paul Bled, „an seinen Gliedern amputierten“ Staates, der vieles an Behauptung und Bestimmung eingebüßt hatte.

Bruno Kreisky war, im Gegensatz zu manchem seiner Nachfolger, ein historisch bewusster und gebildeter Politiker. Nach dem Ersten Weltkrieg standen Trauma und Krise am Anfang der jungen Republik. Die meisten politisch relevanten Gruppen wollten den „minderen“ Staat nicht, nicht zuletzt Deutschnationale und Sozialdemokraten. Vehement forderten sie den Anschluss des ungewohnt Kleinen wieder ans Große, ein anderes Großes freilich: nicht an den Donauraum, sondern an Deutschland. Doch Georges Clemenceaus Verbot von Saint Germain zementierte den Komplex: „Le reste, c’est l’Autriche“.

Freuds Psychoanalyse war noch in der Monarchie zu Ansehen und Bedeutung gelangt, für Adlers Individualpsychologie galt dies vor allem für die Republik. Der terminus technicus einer Verdrängung eroberte mit Ersterer, jener eines Inferioritätskomplexes mit Letzterer die „Seelenwissenschaften“. Gewichtig für Österreichs Geschichte gerieten beide gleichermaßen.
Niederlagen und Verluste zu „kompensieren“, sozioökonomische Krisen zu vermeiden, den Bürgerkrieg der Ersten Republik zu überwinden und Brücken zwischen den politischen Ufern zu schlagen – waren zentrale Fäden, die die Zweite Republik aus ihrem Vorgänger zog. Viel Unangenehmes verklärte sie deswegen über Jahrzehnte hinweg, ehe die Beulen spätestens in den 1980er Jahren aufbrachen wie Eiter.

Doch die Wurzeln liegen tiefer: Zweifellos war Bruno Kreiskys größtes Fanal die Berufung mehrerer ehemaliger NSDAP-Mitglieder zu Ministern seiner ersten Regierung. Liest man seine Autobiographie, so wird da wie dort deutlich, welch großen Stellenwert nicht nur der Nationalsozialismus, sondern auch die Jahre 1927 und 1933/34-38 für den jungen Sozialdemokraten aus jüdisch-bürgerlich-liberalem Elternhaus besaßen.
Der „Klerikofaschismus“ prägte ihn, ein Tabu, weit öfter als andere aus seiner Bewegung verwendete Kreisky den Begriff. Im Gegensatz zu vielen seiner Genossen hatte er eben nicht die Erfahrung einer „versöhnenden Lager-Straße“ von Sozialdemokraten und Christsozialen gemacht, sondern jene eines Emigranten in Schweden.

Aus dem geografischen Exil wurde intellektuelle Heimat: Bis zum Ende seiner Karriere blieben die „Skandinavier“ Kreiskys engste Gefährten: einerseits Willy Brandt, während des Zweiten Weltkriegs im norwegischen Exil, und andererseits der Schwede Olof Palme.
Doch weder Brandt noch Palme standen dem Zionismus so kritisch gegenüber wie Kreisky. Die Versöhnung mit den Arabern war seine Pforte in die Welt, eine Bühne, die Kreisky so sehr brauchte, um das Kleine mit dem Großen zu tauschen. Viele Israelis nahmen ihm dies mehr als übel und trugen es ihm ebenso nach wie Simon Wiesenthal die Auswahl Erwähnter für sein Kabinett.

Manch österreichischer Tradition getreu wird anlässlich der 100. Wiederkehr Kreiskys Geburtstags, solch berechtigte und verpflichtende Kritik medial verdrängt und dessen Person zur Figur verklärt. Weniger wissenschaftlich mit Format denn von „Wissenschaftern“ ohne Profil verbrämt, erhebt man Kreisky zum Mythos. Der News-Wert zählt, wenig sonst.

Bar aller Pein griffen  und greifen die meisten Medien, links wie rechts, nach dem Bild des „Alten“. Aufgehoben scheint plötzlich der Boulevard als „Bollwerk“: Partes pro toto wirken „Krone“ und „Falter“ in elitärer Auswahl ihrer „Hymner“ und Hymnen endlich vereint, gleichsam ein national-sozialer Schulterschluss. Größer wird er nimmer.

Vielleicht ist es ein Paradox – ein Phänomen ist es jedenfalls: Während in der Mythologie es dem (männlichen) Narziss nicht gelang, im (weiblichen) Echo seine Entsprechung zu finden, steht mehr als zweitausend Jahre später das mediale Österreich der sicherlich (wie bei Politikern gemeinhin) narzisstisch begabten Person Bruno Kreisky figurativ als durch und durch verzücktes Echo trunken gegenüber.

Ist der Rausch indes vorbei, wird der Kater wiederkehren. Bruno I. war sterblich und Österreich muss leben. Kleiner denn je bleibt es, auch dank der meisten seiner Medien. Nehmen wir das mit Humor.

Dr. Thomas KÖHLER arbeitet wissenschaftlich und künstlerisch. Zuletzt erschienen: "Stromabwärts" (als Co-Herausgeber, politischer Sammelband, Verlag Böhlau, 2008) bzw. "Geraume Zeit“ (Roman, Verlag Proverbis, 2. Auflage 2009)

 
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