Die Zeit ist reif für Schwarz-Grün
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Die  Chance für eine wertorientierte Reformpolitik

von Christian Mertens

Wohin steuert Österreich nach den Nationalratswahlen? Wer kann, wer will, wer soll mit wem? Schwarz-Rot wäre der Rückfall in die „guten alten“ Zeiten des Proporzes  mit HC Strache als programmierten Gewinner. Rot-Grün (gegebenenfalls mit Duldung des Ex-Roten Martin) hat schon in Deutschland die Grenzen dieses vermeintlichen „Erfolgsmodells“ gezeigt. Die einzige Option, die Aufbruch und Reform signalisieren könnte, heißt Schwarz-Grün. Was nach der Nationalratswahl 2002 noch so manche in den beiden Parteien überfordert hat, ist diesmal von Beginn an eine ernsthaft diskutierte, theoretisch vorbereitete Variante – und: Es gibt mit Oberösterreich ein durchaus respektables Vorzeigemodell!

Die Ausgangssituation ist heute eine völlig andere als vor vier Jahren: Damals waren quasi über Nacht viele vom „Charme“ der bis dahin nicht einmal statistisch erhobenen Koalitionsvariante begeistert: Schwarz-Grün war in aller Munde – egal ob dieser zu einem prominenten Rechtsanwalt, einem steirischen Querdenker oder einem ehemaligen ÖVP-Bundesparteiobmann gehörte. Auch innerhalb der Grünen begannen immer mehr Funktionärinnen und Funktionäre Alternativen jenseits von Rot anzudenken. So meinte der Salzburger Stadtrat Johann Padutsch anno 2002: „Schwarz-Grün wäre spannender als Rot-Grün“. Was konventionelle Parteilinke, besonders in Wien, eilends dazu bewegte, schon den Gedanken an eine Kooperation mit der ÖVP zum Hochverrat zu stilisieren. Die Regierungsverhandlungen scheiterten – ob an Sach- oder Personalfragen wird einmal in den Autobiografien der Beteiligten nachzulesen sein.

Diesmal ist es erstaunlich still um Schwarz-Grün. „Die Presse“ fragte kürzlich sogar: „Was wurde aus den schwarz-grünen Schwärmern?“ Gibt es tatsächlich kein Interesse mehr an dieser Konstellation? Doch, aber der oberflächlichen Euphorie ist nüchtern abschätzender Realismus gewichen. Koalitionen sind eben mehr als Gesprächsstoff auf Bobo-Partys, sondern in erster Linie dazu da, um ein Gemeinwesen zu gestalten.

Eine undenkbare Variante ist Schwarz-Grün heute nur mehr für konventioneller Erstarrung verhaftete Betrachter. Der deutsche Historiker Paul Nolte hat schon vor Jahren – mit Blick auf die damalige deutsche Koalition – gefordert, dass „die Prioritäten der Reform genau andersherum gesetzt werden müssten. ... An die Stelle der Kombination aus Machbarkeitsidee und realer Stagnation müsste eine Verbindung aus realer Veränderung und Machbarkeitsskepsis treten.“ Nolte nennt es „Reformprojekt einer neuen bürgerlichen Gesellschaft“ mit Aspekten wie moralischer Nachhaltigkeit als Gegenpart zur Modernitätsdynamik, Stärkung persönlicher Verantwortung und Sinn für kulturelle Identität.

In die gleiche Kerbe schlägt der grüne Vordenker Ralf Fücks, Vorstand des Heinrich Böll-Stiftung. Für ihn steht Schwarz-Grün „für eine neue Bürgerlichkeit“, in der sich das Leitbild der Bürgergesellschaft (die freilich mehr umfasst als das Vereinswesen), die stärkere Betonung von Selbstverantwortung und Eigeninitiative sowie die Wiederentdeckung der Familie in einem neuen Verständnis, das auch allein erziehende Mütter und Väter mit einschließt.

Die Gedanke sind 1 zu 1 auf Österreich übertragbar: Wer, wenn nicht die zwei wertorientierten – wenn man so will: wertkonservativen – Gruppen des österreichischen Parteiensystems sind dazu berufen, Österreich mit Maß und Ziel zu reformieren! Die wahre Trennlinie in Österreichs Politik geht nicht zwischen einem (wie immer definierten) „bürgerlichen“ und einem (wie immer definierten) „linken“ Lager, sondern zwischen veränderungswilligen und beharrenden Kräften. Unser Land braucht mehr Mut zur Zukunft statt sich an althergebrachten Strukturen ängstlich anzuklammern, mehr Freiheit und Eigenverantwortung statt bürokratischer und politischer Bevormundung und einen offenen Blick für jene, die sich selbst nicht oder ungenügend artikulieren können.

Die Chancen einer schwarz-grünen Koalition liegen für die Grünen darin, grüne Themen in Regierungspolitik umgießen zu können. Für die ÖVP bedeutet eine derartige Kooperation die Stärkung des in der bisherigen Koalition vernachlässigten sozialliberalen Elements der Christdemokratie. Dabei geht es um Themen wie eine Asylpolitik mit Augenmaß, eine nachhaltige Integrationspolitik, vor allem in den Bereichen Wohn-, Sozial- und Demokratiepolitik, die Implementierung klarer ethischer Rahmenbedingungen in Forschung und Technik, eine ökologische Steuerreform, die Stärkung des privaten Angebots im Sozialbereich gegenüber bürokratischen Anbietern, die stärkere Förderung von Begabung und Kreativität im Bildungsbereich und vieles mehr. Diese und andere möglichen Kernpunkte einer schwarz-grünen Regierungszusammenarbeit wurden übrigens in dem 2003 erschienenen Sammelband „Stromaufwärts“, an dem 35 teils arrivierte, teils avancierende Wissenschafter und Politiker mitarbeiteten, angedacht.

Österreich hat schon immer historische Signale ausgesandt. Eine Koalition aus Schwarz und Grün wäre ein Novum. Wieder stünde Österreich in den internationalen Schlagzeilen. Zweifellos unter anderen Vorzeichen als im Jahr 2000!

Christian Mertens ist Historiker und Mitbegründer der sozialliberalen „Initiative Christdemokratie“ (ICD)

 
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