Verdiente Vermögen verpflichten Drucken

Ohne einen Beitrag der Vermögenden zur Erhöhung der Steuergerechtigkeit geht es nicht

Thomas Köhler und Christian Mertens

Im Dezember lud DIE ZEIT den ehemaligen CDU-Generalsekretär Heiner Geißler und die Stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linkspartei Sahra Wagenknecht zum Streitgespräch über einen „wild gewordenen Kapitalismus" ein. Die extreme Linke und der radikale  Christdemokrat („extrem“ und „radikal“ sind bekanntermaßen nicht gleichzusetzen) fanden zu vielleicht gar nicht so erstaunlichen Übereinstimmungen. Ihre Kritik an den global vorherrschenden sozioökonomischen Missständen ist profund: Ein fortschreitender Kulturverlust angesichts ausufernder Ökonomisierung der Gesellschaft, eine sich mehr und mehr öffnende Schere zwischen Arm und Reich, lebensfeindliche Spekulationen auf Lebensmittel vor allem zulasten der Dritten Welt, Bevölkerungsexplosion und Klimawandel usw. können und dürfen von Menschen mit Ethik und Moral nicht länger hingenommen werden.

Was für große Welt gilt, gilt ebenso für das an Geist und Seele so kleine Österreich von heute: Vom Großteil der Mittelpartei ÖVP und von manchen Interessengruppen rings um sie wird jeglich höherer Beitrag von massiv Vermögenden zur Sanierung des Budgets sofort als „wirtschaftsfeindlich“ verworfen. Stattdessen wird „Eigenverantwortung“ als Allheilmittel beschworen: Jeder müsse zuallererst sich selbst helfen und Prävention leisten (gesund leben, sich nicht verschulden usw.), ehe, wenn überhaupt, Fürsorge greife.

Allerdings: Vorsorge und Eigenverantwortung sind selbstverständlich wichtig, aber eben nur ein Aspekt des Prinzips Verantwortung im Sinn des – nicht nur von Geißler, sondern mittlerweile auch von einer geläuterten Wagenknecht unterstrichenen – christlichen Soziallethos (bzw. der katholischen Soziallehre und deren Prinzipien der Personalität, Solidarität und Subsidiarität). Einmal abgesehen davon, dass es Situationen und Zustände im Leben geben kann, die den besten Vorsatz der Prävention konterkarieren, umfasst der genuin christ(lich-)demokratische Grundwert Verantwortung eben nicht nur die eigene Person, sondern auch den Mitmenschen und die Umwelt, so (räumlich) fern der Nächste auch sein mag. Verantwortung hat aber auch eine zeitliche Dimension, geht über das Heute hinaus und schließt künftige Generationen mit ein (Nachhaltigkeit).

Also besteht für Politiker – zumal christdemokratische, so sie denn noch in der ÖVP gefunden werden wollen – dringender Handlungsbedarf, wenn Gleiches ungleich behandelt wird: Im Finanzbereich sind es vor allem die Spitzenverdiener (und nicht der Mittelstand), die ihre Steuerleistung niedrig halten können, etwa durch nach wie vor steuerfreie Spekulationsgewinne, ausgeklügelte Abschreibungen und latente Steuerprivilegien eigennütziger Privatstiftungen etc.

Gerade in der provinziellen Alpenrepublik herrscht heutzutage völlige Disproportionalität zwischen vermögensbezogenen und lohnbezogenen Abgaben: Der Anteil ersterer am gesamten Steueraufkommen beträgt nur 1,4 Prozent, während 65 Prozent auf Lohn- und Mehrwertsteuern entfallen. Zugleich ging in einem Zeitraum von rund 30 Jahren der Anteil der Löhne und Gehälter am Volkseinkommen von 79 auf 67 Prozent zurück. Auch die immer wieder angedachte Ökologisierung (bei gleichzeitiger Entlastung nicht des Faktors Vermögen, sondern des Faktors Arbeit) des Steuerwesens blieb bisher (geduldiges) Papier.

Es hat daher weder etwas mit Neiderei noch mit Marxismus zu tun, wenn jene, die in den letzten Jahren von solchem Ungleichgewicht massiv profitiert haben, nun stärker um ihren solidarischen Beitrag zur Konsolidierung der Staatsfinanzen gebeten werden. Ihren Lebensstil müssten sie dadurch gewiss nicht einschränken. Vielleicht aber manche Demagogie, Heuchelei und Präpotenz. Sozial und ökologisch bewusste Ausnahmen wie etwa der Unternehmer Martin Essl bestätigen die Regel.

Steuern sind nach wie vor ein zentrales Element, um gerechtere Rahmenbedingungen als Voraussetzung für eine menschenwürdige Lebenskultur gerade im gleichermaßen globalen und digitalen Zeitalter zu schaffen. Beispielhafte Maßnahmen auf dem Weg zu höherer Steuergerechtigkeit wären die Entlastung der Erwerbsarbeit bei gleichzeitiger stärkerer Belastung des Verbrauchs natürlicher Ressourcen sowie die Anhebung von Vermögenssteuern auf EU-Niveau, was sich mit etwa 4 Milliarden zu Buche schlagen würde. (Freibeträge müssten dabei sicherstellen, dass kleinere Erb- und Schenkungsfälle nicht tangiert würden). Dass eine Finanztransaktions- bzw. Hochspekulationssteuer ein wichtiger Schritt zur Eindämmung der verheerenden Zockerei auf den Finanzmärkten wäre, wird ohnehin nur mehr von ganz (seltsamen) Wenigen bestritten (scheitert aber gerade am mächtigen Lobbyismus dieser Egoisten).

Nicht zuletzt ein Wort zur „Eigenverantwortung“ unseres Staates im globalen Kontext: Es ist beschämend, dass in Österreich budgetäre Kürzungen immer wieder zulasten der Entwicklungszusammenarbeit gehen, obwohl diese hierzulande ohnehin vergleichsweise niedrig ist: Laut AidWatch-Report zahlen nur Portugal, Italien und Griechenland prozentuell weniger für die Bekämpfung von Armut in der Welt als Österreich.  Unter Abzug der Ausgaben für Flüchtlinge, ausländische Studierende und Schuldennachlässe für Entwicklungsländer bleiben in der Alpenrepublik aus Kleingeist und Kleinseele überhaupt nur noch rund 0,25 Prozent des Bruttonationaleinkommens für „echte“ Armutsbekämpfung übrig.

Wo also bleibt das verantwortungsbewusste christdemokratische Gewissen der ÖVP, die ihren Programmprozess laut Angaben ihrer Politischen „Akademie“ sicherheitshalber wieder auf Eis gelegt hat? Man könnten ja an den eigenen Werten gemessen werden! An Charakteren mit der Courage eines Heiner Geißler könnte sie sich ein Beispiel nehmen. Er ist geistig viel jünger und seelisch viel offener als mancher in der obersten Etage dieser Restpartiepartei.

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Thomas Köhler und Christian Mertens arbeiten als Wissenschaftler und Publizisten in Wien. Im Herbst erschien das von ihnen herausgegebene neue „Jahrbuch für politische Beratung 2010/2011“ mit Beiträgen u. a. von Anton Pelinka, Robert Misik und Peter Filzmaier sowie einem Vorwort von Vaclav Havel.