Interreligiöser und interkultureller Dialog: Christ- und Islamdemokratie
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Eine der größten Herausforderungen für den säkularen Staat ist die seit den 1990er Jahren steigende Präsenz des Islam in Mittel- und Westeuropa. Das Tragen des Kopftuches in der Schule und am Arbeitsplatz, der Bau repräsentativer Moscheen („Minarett-Diskussion“) oder der Ruf des Muezzin führt zu teils mit hoher Emotionalität ausgetragenen Konflikten. Die religiös-weltanschauliche Neutralität des Staates räumt auch den Zugewanderten das in der Freiheit des Menschen begründete Recht ein, sich öffentlich zu einer Religion zu bekennen, ihr Leben ihrem Bekenntnis entsprechend sowohl als Individuum wie auch in Gemeinschaft mit Anderen zu gestalten. Eine interventionistische Politik etwa nach türkischem Modell wird dadurch ausgeschlossen.

Dieselbe Freiheit müssen selbstverständlich aber auch jene in Anspruch nehmen können, die eine Religionsgemeinschaft verlassen, zu einer anderen wechseln (Konvertiten) oder tatsächliche wie vorgebliche religiöse Vorstellungen von „Tugend“ und „Ehre“ nicht beachten. Staatliches Eingreifen ist dann erforderlich und legitim, wo abweichendes Verhalten mit Repression einhergeht und selbstverständlich dort, wo säkulare Gesetze verletzt werden (z.B. Zwangsheirat). Die Verwirklichung der Religionsfreiheit in einer multireligiösen Gesellschaft ist eine komplexe Aufgabe, die Behutsamkeit und vor allem den ständigen Dialog aller Akteure erfordert.

Der säkulare Staat ist in Europa und Nordamerika entstanden. Manche Theoretiker wie Samuel Huntington („The clash of civilizations“) schließen daraus, dass Säkularität ausschließlich zum kulturellen Erbe der „westlichen“ Zivilisation gehört und in anderen kulturellen Kontexten nicht verwirklicht werden könne. Dabei wird auch auf die Einheit von Religion und Staat auf der Grundlage der Scharia (dem göttlich gesetzten Recht) hingewiesen.

Bei derartigen Pauschalurteilen wird übersehen, dass es unter Muslimen einen sehr unterschiedlichen Umgang mit der Scharia gibt. Nur eine Minderheit von extremen Islamisten sieht in dieser die grundsätzliche Alternative zum säkularen Staat und Recht. Für viele steht eher der ethische Gehalt im Vordergrund. Viele islamische Theoretiker halten Demokratie und Islam für vereinbar, in dem sie das Konzept der alleinigen Souveränität Gottes im Staat verwerfen und darauf hinweisen, dass Gottes Wille nicht direkt greifbar und seine Offenbarung somit verschieden interpretierbar ist. Daher dürfe keine Interpretation mit politischen Machtmitteln verbindlich gemacht werden. Andere versuchen nachzuweisen, dass der pluralistische, säkulare Staat in der Konsequenz zentraler Aussagen des Korans selbst liege.

In der Überwindung gegenseitiger Missverständnisse im Rahmen des interkulturellen wie –religiösen Dialogs und den oben skizzierten Theorien über die Vereinbarkeit von Islam und säkularem Rechtsstaat liegt die Chance zur Entwicklung von „islamdemokratischen“ Parteien. Als Beispiel dafür könnte die türkische Regierungspartei AKP (Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei) dienen, die sich zwar auf religiös inspirierte Werte, nicht aber auf islamistische Prinzipien beruft. Derartige Parteien wären die logischen Partner der europäischen und lateinamerikanischen Christdemokraten. Denn ebenso wie die Christdemokratie ist auch potentiell die Islamdemokratie ein ethischer Appell religiöser Inspiration. Die ICD trägt z.B. durch Muslime in ihren Reihen dazu bei, diesen Prozess des Dialogs zu stärken.

 
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