Atlas, das trojanische Pferd und die ÖVP!
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Gastkommentar von Thomas Köhler und Christian Mertens

In der griechischen Mythologie war der Titan Atlas dazu verdammt, als tragende Stütze des Himmels sein Leben zu fristen. Als wäre es ein Appell an Höheres, wird der – laut ihrem Programm christ(lich-) demokratischen – ÖVP seit dem Abend des 1. Oktober vor allen aus SPÖ und kleinbürgerlicher Wirtschaftskammer immer wieder ausgerichtet, sie solle – eben dem Atlas gleich – „den Staat tragen“. Cui bono bzw. was tun?

Aus der Sicht der Noch-Kanzler-Partei wurden die aktuellen Wahlen in Österreich nicht nur verloren. Hinzu kommen Gefühle der Überraschung, Schmach und Verbitterung. Ein sicher geglaubter Erfolg hat sich in ein Desaster gewendet: Acht Prozente in der Mitte zu verlieren – das ist selbst in Zeiten europaweiter (zum Teil extrem) rechts- und linkspopulistischer Erfolge sehr viel. Der „heilige Abend“ der ÖVP, als sie am 24. November 2002 aus dem Stand auf 42 Prozent geschnellt war, ist Schall und (Weih-)Rauch!

Asche auf das Haupt der Christdemokraten und husch pfusch hinein in die angeblich große Koalition mit dem Wahl-„Sieger“ Alfred Gusenbauer (auch die SPÖ hat gegenüber dem miserablen Ergebnis vor vier Jahren nochmals abgebaut)?! Manche Intellektuelle und Künstler, die Industriellenvereinigung und viele Think Tanks etc. warnen im Gedenken an den Status quo ante 2000: Große Koalitionen bedeuten Stagnation, wenn kein „Staatsnotstand“ sie erzwingt (wie nach 1945) oder sie kein „großes Thema“ aufweisen (wie es der Staatsvertrag für die erste Auflage der großen Koalition in Österreich unter Raab und Schärf oder der EU-Beitritt für die zweite unter Vranitzky und Busek waren). Fehlt dieses aber, stellen sie – siehe auch das aktuelle deutsche Beispiel – alles andere als ein Vorbild dar.

Vielmehr drohen: eine Verabschiedung von Verfassungsgesetzen je nach Bedarf von Lobbys; streng nach simpler Farbenlehre ohne Hinterfragen der eigentlichen Bedürfnisse vergebene Subventionen; eine Delegation anstehender Probleme an sozialpartnerschaftlich „paritätisch besetzte“ Arbeitsgruppen (wo „Reformen“ in der Vergangenheit oft bis zur Unkenntlichkeit verwässert wurden) usw.

Das gewichtigste Argument lautet freilich: Alternanzmodelle mit einem Wechselspiel aus starker Regierung und ebenso starker Opposition festigen die moderaten Demokratien – während große Koalitionen extreme „linke“ und „rechte“ Ränder fördern. In Österreich war dies unter dem technokratischen sozialistischen „Broker“-Kanzler Franz Vranitzky (und seinem nicht mehr genannten Nachfolger) in Form der Stärkung von Jörg Haiders vorgeblich „Freiheitlichen“ (bis zu 25 Prozent und mehr) aus oben genannten Gründen tragisch der Fall. Droht Österreich der Rückfall in die „gute alte“ Proporzzeit mit gegenseitiger Paralysierung und Postenschacher der Großparteien, ist der kometenhafte Aufstieg des „HC“ Strache schon vorgeplant. Nicht zufällig reibt sich der blaue Parteiführer bereits die Hände und fordert genau diese Koalitionsvariante im Wissen um dieses strategische Geschenk ein.

Schon jetzt wird man sagen können, dass die historische Leistung der Zeit unter Kanzler Wolfgang Schüssel und der Opposition unter Alfred Gusenbauer weniger aus wirtschaftlichen oder sozialen bzw. aus bildungs- oder kulturpolitischen – je nach Ansicht – (Un-)Daten bzw. (Un-)Fakten besteht, sondern eher aus dem Schwenk hin auf die beschriebene europäische Regel der Alternanzdemokratie. Die ÖVP nun aufzufordern, den Atlas zu spielen, sich „staatstragend“ zu verhalten und in eine große Koalition unter den Sozialisten zu schwenken (während diese gleichzeitig durch einen zusammen mit Strache eingeleiteten pseudoinquisitorischen Untersuchungausschusses den Wahlkampf verlängern) – wäre die Abkehr davon und die Rückkehr in die voreuropäische demokratiepolitische Steinzeit.

Der Atlas ist ein nützlicher Trottel in der Verbannung aus der Realität. Eine Partei kann einen Staat nur dann tragen, wenn sie über Rückgrat verfügt (das heißt, aus Intelligenz transportierendem und Haltung vermittelndem Gerippe). Wenn diese Form der Regierungsbeteiligung aber dazu – wie intern aus der SPÖ zu erfahren ist – führen soll, dass die ÖVP über kurz oder lang ihre Stärke verliert (und „nebenbei“ auch noch extreme Populisten wieder an vermessener Kraft gewinnen) – dann kann das Angebot Alfred Gusenbauers an die sich die Wunden leckende ÖVP nur eine Art trojanisches Pferd sein. Schon rufen an alten Trögen hängende Funktionäre der zweiten und dritten Reihe dazu auf, es in die Zentrale zu schleppen und eine Nacht darüber zu schlafen. Was mit Troja nach dieser Ruhe geschah, ist bekannt.

Doch im Unterschied zum mythologischen Atlas ist die ÖVP nicht unsterblich! Das trojanische Pferd „große Koalition“ wäre – zu Bruno Kreiskys später Freude – vielleicht ihr Weg zum Ende. Österreich braucht aber eine beständige wertorientierte bürgerliche Kraft in der Mitte als Pol des Ausgleichs und der Mäßigung gegenüber struktureller Erstarrung einerseits und Menschen verhetzendem Populismus andererseits.

Um nicht missverstanden zu werden: Wir reden nicht der Fortsetzung einer Koalition der ÖVP mit Blau bzw. BZÖ das Wort – sondern angesichts der beschriebenen demokratischen Risiken einer großen Koalition eher der Rolle einer Opposition der Volkspartei. Nur so können die für eine spätere Koalition zwischen Schwarz und Grün nötigen Brücken benützt werden, die noch 2002 nicht begangen wurden – übrigens Schüssels und Van der Bellen größter Fehler, der sich heute rächt.

Thomas Köhler und Christian Mertens arbeiten wissenschaftlich und publizistisch. Sie sind Mitgründer der sozialliberalen „Initiative Christdemokratie“ im Rahmen der ÖVP.

 

 
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