Der Traum von Christdemokratie
Menu Content/Inhalt
Der Traum von Christdemokratie PDF Drucken

Und was daraus geworden ist – Eine Verlustanzeige

von Thomas Köhler

Während in Österreich tiefster Wahlkampf herrscht und von (zum Teil extremen) Rechts- und Linkspopulisten das politische Ideal mit Füßen getreten wird, schreibt Angela Merkels CDU ein neues Programm. Was andernorts in der Europäischen Union längst erodiert oder versprengt ist, versuchen die deutschen Christlichen Demokraten zu sammeln und zu verbinden: den Spagat zwischen christlich-konservativen, christlich-liberalen und christlich-sozialen Werten.
 
In seinen „Visionen“ hatte der abtretende britische Premier Tony Blair – sicher kein Sozialist – schon vor zehn Jahren seinen politischen Willen zur Gestaltung der Demokratie nicht zuletzt aus dem Christentum abgeleitet: Dieses bedeute nicht nur eine Beziehung zwischen Gott und Individuum, sondern verpflichte den Menschen auch zu einem Dienst an der Gemeinschaft.
 
Blair wusste und weiß von der Gründung der Europäischen Union durch drei Christdemokraten: Konrad Adenauer, Robert Schumann und Alcide de Gasperi. Nicht zufällig stammt das die EU tragende Prinzip – die Subsidiarität – aus der katholischen Soziallehre.
 
Doch so sehr Anspruch und Realität der Europäischen Union heute diese Art der Aufgabenteilung betreffend auseinander klaffen, so sehr scheinen sich auch Blair und die Christdemokratie von ihren Wurzeln zu entfernen. Hat der Traum von einst heute kein Leben mehr?
 
Der politische Wille der CDU ist ambitioniert. Alcide de Gasperis italienische Democrazia Cristiana vermochte die Einheit christlich-konservativer, -liberaler (des schwächsten Zweigs) und -sozialer Haltungen ebenso wenig zu bewahren wie die ÖVP in Österreich. Ging die italienische Christdemokratie nicht ihrer hehren Theorie, sondern ihrer korrupten Praxis wegen unter, verhält es sich in Österreich freilich anders. Konnte sich die eine nicht zum „historischen Kompromiss“ mit der stärksten kommunistischen Partei außerhalb der damaligen Sowjetunion durchringen (DC wie PC hatten mehr als dreißig Prozent), formulierte die andere den Kompromiss immer schon, ehe sie überhaupt eine These aufgestellt hatte. Die gelebte Pragmatik war die Schwäche der DC Italiens, die (nicht) gelebte Programmatik jene der Volkspartei Österreichs.
 
Spätestens mit dem Zerfall der DC und dem Beitritt der „linken“ Democristiani zu den Bündnissen um Romano Prodi (und dem der „rechten“ zu jenem Silvio Berlusconis) war die – von der CDU wieder angestrebte – christdemokratische Einheit zumindest in Italien dahin. Der historische Kompromiss hingegen trat ein. Verspätet, aber doch. Denn dem „Ölbaum“ bzw. der „Union“ gehören auch italienische Post- und Neokommunisten an. Im europäischen Parlament nehmen die „linken“ italienischen Christdemokraten übrigens Plätze bei der liberalen Fraktion ein. Ein programmatischer Tour d’horizont?
 
Wolfgang Schüssel – meistens Taktiker und eher selten Stratege (was die meisten vertauschen) – spricht seit der permanenten Kritik durch prominente österreichische Christdemokraten vor allem aus dem liberalen und sozialen Lager kaum mehr von der ÖVP als christdemokratischer Partei, als die sie sich in ihrem Programm im ersten Artikel bezeichnet. Der Stachel im Fleisch des Sprosses der katholischen Hochschuljugend scheint ihm lästig zu sein.
 
Wie die Wahlen in Österreich ausgehen werden, ob die Grünen eher mit Rot oder doch mit Schwarz (ein historischer Kompromiss anderer Art) koalieren werden und welches Schicksal Schüssel auch immer wird teilen müssen (vielleicht jenes Tony Blairs) – Angela Merkel wird die „letzte ihres Standes“ sein, die Einheit der Christlichen Demokratie trotz widerstreitender innerparteilicher konservativer, liberaler und sozialer Interessen(verbände) zu wahren. Für diesen Versuch, einen Traum am Leben zu halten, gebührt ihr immerhin Respekt!

Thomas Köhler arbeitet wissenschaftlich und künstlerisch. Er war Berater des österreichischen ÖVP-Vorsitzenden Erhard Busek und ist Mitgründer der sozialliberalen „Initiative Christdemokratie“, eines Thinktank im Rahmen der ÖVP.

 
designed by www.madeyourweb.com