Jamaika? Was die ÖVP vom Saarland lernen kann Drucken

Schwarz, Grün und Liberal. Was in Deutschland Realität wurde, ist hierzulande undenkbar. Schuld daran trägt auch die ÖVP.

Gastkommentar: Thomas Köhler

Während sich Österreich in zivilgesellschaftlichen Studierendenprotesten spiegelt, geschieht in Deutschland Zukunftsweisendes. Von heimischen Medien nahezu unbemerkt, ist in einem Bundesland unseres Nachbarn offiziell geworden, was früher oder später Folgewirkung für das ganze Land haben könnte: die erste sogenannte Jamaika-Koalition aus Schwarz, Gelb und Grün.

Just in Oskar Lafontaines Heimat, dem Saarland, passiert es. Wo der ehemalige Vorsitzende der SPD und jetzige Chef der Linken nach zehn Jahren Entbehrung wieder Regierungschef werden wollte, bleibt Peter Müller (CDU) am Platz. Der alte und neue Ministerpräsident spricht von seiner Koalition als einer idealen Kombination von Ökonomie, Sozialem und Ökologie. Dass er mit der ökonomischen Komponente vor allem die FDP und mit der ökologischen speziell die Grünen verbindet, ist wenig verwunderlich. Auffälliger ist da schon seine Assoziation der CDU mit Sozialem.

Nicht zuletzt deswegen stellt die Koalition aus Schwarz, Gelb und Grün die parallele Auflage von Rot-Rot (SPD und Die Linke) in Brandenburg in den Schatten. Ziemlich alt wirkt Letztere auf viele Bürgerrechtler der Zivilgesellschaft, gerade angesichts des Gedenkens an die Befreiung rund um 1989. Was aber ist neu an Jamaika?

In der Tat haben die Grünen etwa in der Bildungs- und Energiepolitik sowohl CDU als auch FDP einiges abgetrotzt. Kulturelle Gerechtigkeit für alle Schichten und nachhaltiges Haushalten mit den Ressourcen der Natur waren ihre Leitlinien. Grüne und FDP stellten sich in Bürgerrechtsfragen gemeinsam gegen die CDU, Grüne und CDU positionierten sich in solchen zur Beschränkung turbokapitalistischer Handelsmärkte gegen die FDP – jeweils in den, zugegeben, beschränkten Potenzialen eines Bundeslandes.

Klar ist: Nicht CDU oder FDP stehen im Zentrum. Die Grünen sind die Klammer des Bündnisses. Laut aktuellen Statistiken sind sie übrigens „die Partei der am besten Verdienenden“, während die FDP lang als „Partei der Besserverdienenden“ galt.

Freilich, das Jamaika-Signal ist für die Zukunft ebenso der CDU immens wichtig: heute im Saarland, morgen in Nordrhein-Westfalen (NRW) und übermorgen im Bund. 2010 wird Angela Merkel mit den Wahlen im bevölkerungsreichsten Bundesland die erste große Bewährungsprobe ins Haus stehen. SPD und Linke haben NRW bereits zum Battleground ausersehen.

Wenn es nach den heutigen Daten geht, wird sich der in NRW mit den Freidemokraten regierende Christdemokrat Jürgen Rüttgers einzig halten können, wenn auch er auf die Option Jamaika setzt. Die Weichen sind intellektuell und emotional bereits gestellt: Der selbsternannte „Arbeiterführer“ Rüttgers ist Programmatiker und Pragmatiker genug, sich bereits seit längerer Zeit innerhalb der CDU weit links positioniert zu haben.

Und Österreich? Die Schwesterpartei der deutschen Christdemokratie bereitet sich, von Finanzreden abgesehen, auf ein neues Grundsatzprogramm vor. Neues sucht die ÖVP in den Inhalten, bei den alten Strukturen bleibt man indes. Dabei sind es gerade Letztere, welche die oft apostrophierte negative Funktionärsre-krutierung der ÖVP vor allem im Mittelbau bestimmt und, nicht zuletzt in urbanen Gebieten, zivilgesellschaftlich orientierte Jungbürgerliche zu den Grünen treibt. Die permanente Misere der Wiener ÖVP, in diesen Tagen aktueller denn je, spricht Bände.

Jamaika wird für Österreich schon deswegen nicht möglich sein, weil keine wirtschafts- und gesellschaftsliberale Partei sui generis à la FDP existiert. Aber die Grünen gibt es. Und weil das verhängnisvoll strukturkonservative bündische (Bund, italienisch: fascio) System der ÖVP jede wertkonservative Pragmatik mit den Grünen ausschließt, wird der ÖVP auch keine neue Programmatik helfen, einen anderen Bündnispartner außer SPÖ/FPÖ zu finden. Weder in jüngster Vergangenheit noch in näherer Zukunft.

Thomas Köhler ist Mitbegründer der sozialliberalen Initiative Christdemokratie (ICD) im Rahmen der ÖVP.