Schwarz-roter Albtraum Drucken

von Christian Mertens 

Manche zimmern schon an einem Revival der großen Koalition. Droht der Rückfall in die politische Steinzeit?
Spätestens seit Hans-Peter Martin seine Kandidatur bekannt gegeben hat, geistert wieder ein altbekanntes Schreckgespenst durch unser Land – die große Koalition. Tatsächlich scheint sie das Liebkind vieler Medien und Wunschtraum so mancher Politikerinnen und Politiker zu sein: Nun wäre die Elefantenhochzeit, also die Zusammenarbeit der beiden traditionellen Großparteien, „unausweichlich“ oder „im Staatsinteresse erforderlich", was durch Umfragen mehr oder weniger belegt werden soll.

Auch wenn Klubobmann Molterer vor einiger Zeit zu dieser Koalitionsvariante verlauten ließ, sie wäre „kein wünschenswertes Szenario“ – auf den Couloirs des Parlaments und der Landhäuser sowie in den Besprechungszimmern der Kammern und Interessensvertretungen werden bereits jede Menge Beziehungen mit dem jeweiligen Vis-a-vis geknüpft oder einfach revitalisiert. So manche sollen bereits mit in nostalgischer Verklärung leuchtenden Augen gesehen worden sein. Wie schön wäre es doch, an die „gute alte“ Proporzzeit anknüpfen:

  • endlich wäre jener politische Stillstand garantiert, der es Mandataren ermöglicht, wieder mehr Zeit in Bierzelten und auf Weinfesten zu verbringen statt bei der inhaltlichen Knochenarbeit in Ausschüssen und anderen parlamentarischen Gremien,
  • endlich gäbe es im Nationalrat wieder eine komfortable Zweidrittel-Mehrheit, die Verfassungsgesetze je nach Bedarf (einer nahe stehenden Lobby) verabschieden und lästige Verfassungsgerichtshof-Urteile umgehen könnte,
  • endlich könnte die Zahl der Regierungsmitglieder durch „kontrollierende“ Staatssekretäre der anderen Partei wieder in die Höhe getrieben werden,
  • endlich würde wieder jeder Subventions-Euro streng proportional nach der Farbenlehre ohne Hinterfragen der eigentlichen Bedürfnisse gewidmet werden,
  • endlich könnten anstehende Probleme (etwa eine Reform des Gesundheitswesens) wieder an sozialpartnerschaftlich dominierte Arbeitsgruppen delegiert und dort bis zur Unkenntlichkeit verwässert werden,
    endlich gäbe es wieder ein „rotes“ FS 1 und ein „schwarzes“ FS 2 (oder umgekehrt) usw.

Konzedieren wir einmal, dass die große Koalition tatsächlich die Lieblingsvariante der konsensverliebten Österreicherinnen und Österreicher ist. Bloß: Welche Zukunftssignale soll eine schwarz-rote Partnerschaft verheißen? Wem nützt eine derartige Konstellation?

Die SPÖ hätte (nach allen derzeitigen Erhebungen wohl als Juniorpartner) – endlich – nach fast sieben entbehrungsreichen Jahren den Weg zurück zu den Futtertrögen gefunden. Damit müsste sie sich allerdings ihre Unfähigkeit eingestehen, sich als stärkste Oppositionspartei gegenüber der Regierung zu profilieren.

In der ÖVP wären jene Landesfürsten und Kämmerer befriedigt, die Angst vor zu viel Veränderung haben. Viele unter ihnen sind ohnehin das Modell der Allparteienregierung (Konkordanzdemokratie) gewohnt, das als rechtliches Kuriosum in einigen Landesverfassungen nach wie vor sein Unwesen treibt oder sie praktizieren das „bewährte Modell“ der großen Koalition auch dort, wo es gar nicht nötig wäre (siehe Tirol). Ob das Profil der Partei in dieser Konstellation an Schärfe gewinnt, darf bezweifelt werden! 

Am ehesten nützte der Rückfall in alte Zeiten den dann im Parlament verbleibenden Oppositionsparteien, insbesondere der sich durch aggressiven Politstil und Inhalt kennzeichnenden FPÖ – wen wundert’s, dass sich Strache diese Variante jüngst wünschte: War die bis 2000 amtierende „pragmatisierte“ rot-schwarze Koalition mit ihren negativen Begleiterscheinungen wie Proporz, Entscheidungsschwäche und Demokratiedefizit wichtigste Voraussetzung für den Aufstieg Jörg Haiders, wäre die Neuauflage dieser Zusammenarbeit der – fast zwei Monate nach Ende der WM müssen Fußball-Metapher wieder erlaubt sein – der aufgelegte Elfer für den Rechtaußen-Stürmer Strache. Brauchen wir wieder eine rechtspopulistische Partei knapp unter 30 Prozent, damit wir in Österreich merken, dass die Konfliktdemokratie mit wechselnden Koalitionen die westeuropäische Norm ist und nicht die kuschelige Konsensdemokratie?!

Politisch interessierte Menschen werden angesichts dieser Dejà-vus derzeit von Albträumen geplagt: Droht Österreich der Rückfall in die demokratiepolitische Steinzeit mit Postenschacher und gegenseitiger Paralysierung der Großparteien? Wird HC Strache die Chance zum Aufstieg der FPÖ neu – die sich von der FPÖ alt meiner Meinung nach vor allem darin unterscheidet, dass das, was von Haider & Co. populistisch zur Maximierung der Stimmen thematisiert wurde, von Straches Recken (Mensur-)bluternst gemeint ist – erhalten?

Vor der Wahl 2002 hat der Schriftsteller Robert Menasse eine große Koalition als „schlimmste Variante“ (!) bezeichnet, die unweigerlich „Frust, Radikalismus und Ressentiments“ befördere. Auch nach dem 1. Oktober gilt: Bloß kein schwarz-rotes Revival! Österreich hat keinen Krieg hinter sich und tritt keinem Staatenbund mit gravierenden Auswirkungen auf Wirtschaftsgefüge und Rechtssystem bei – beides Aufgaben, die die Konzentration aller maßgeblichen Kräfte erforderten. Unser Land steht vor Herausforderungen, die auch eine Regierung mit 51 Prozent und mit einer starken kontrollierenden Opposition als Gegenüber bewältigen kann!

Mag. Christian Mertens ist Historiker und Mitbegründer der sozialliberalen „Initiative Christdemokratie“ (ICD).