Religion und Aufklärung: Christentum und Demokratie Drucken

Die Wechselwirkungen zwischen – materiell – Religion und Politik bzw. – formell – Kirche und Staat stehen seit Epochen vielfach zur Diskussion. Von Theo- oder Philokratie im Altertum über Kirchenstaatstum oder Staatskirchentum im Mittelalter bis Laizismus oder Säkularität in der Neuzeit reicht der Bogen an Begriffen. Die ICD widerspricht sowohl religiösem als auch politischem Fanatismus als einander nicht nur methodisch, sondern auch inhaltlich, also in Weg und Ziel, wesen- und eigentlich verwandten Extremismen (allerdings verschiedener heuchlerischer Diktion). Vielmehr vertreten wir die ebenso moderate wie radikale These, dass es nicht nur im privaten, sondern auch publiken Raum Platz geben muss für religiös inspiriertes politisches Engagement. Es bedeutet Maßhalten mit Perspektive im ethischen Rahmen.

Nicht anders ist die Tätigkeit christ(lich-)demokratischer Parteien vom Zweiten Weltkrieg bis heute im Allgemeinen sowie bei der Gründung, Vertiefung und Erweiterung der Europäischen Union gemäß dem Prinzip der Subsidiarität (gemeinsam mit Personalität und Solidarität aus der Katholischen Soziallehre kommend) im Besonderen zu verstehen. Selbst wenn Gottes „Reich nicht von dieser Welt“ ist und angesichts der menschlichen Unvollkommenheit, haben wir alle doch den Auftrag, das Beste diesseits zumindest zu (ver)suchen. Denn: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!“ ist ein Aufruf zur Gestaltung des zwischenmenschlichen Gemeinwesens (Polis) schon hier und jetzt.

Es ist erwiesen, dass religiöser Glaube eine ungleich höhere Wertebindung erzeugt als eine rein auf das Prinzip Nützlichkeit beschränkte Norm. Deshalb sind gerade Menschen, deren Weltbild auf einer christlich (oder anders religiös) motivierten Ethik beruht, besonders berufen, in ihrem Denken und Handeln Sinn- und Wertevermittlung, Nächstenliebe sowie Verantwortung heute gängigen „Ersatzreligionen“ wie Kapital, Fun oder Empirie gegenüberzustellen. Entscheidendes Merkmal heutiger christdemokratischer Parteien ist, dass sie – im Gegensatz etwa zum politischen Katholizismus der Zwischenkriegszeit – keine institutionell-konfessionelle oder inhaltlich-klerikale Politik betreiben, sondern als säkulare Parteien Religion als ethisch-religiösen Impuls für ihr politisches Handeln verstehen.

Hat sie sich schon in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts von der inhaltlichen Enge des politischen Katholizismus emanzipiert, muss sie sich heute noch stärker urban geprägten sozialliberalen Inhalten und Personen öffnen. Dafür gilt es zu beachten, dass „liberal“ (Adjektiv zu Liberalität) nicht mit „liberalistisch“ (Adjektiv zum politischen Liberalismus) gleich zu setzen ist, wie sich ja auch „sozial“ von „sozialistisch“ unterscheidet. Die sozialliberale Christdemokratie ist die Chance auf weltanschauliche Breite und Tiefe und nimmt die dialogische und reformerische Position der offenen Mitte ein.