Quo vadis Aldo Moro?
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Diaspora und Potenzial der italienischen Christdemokratie vor und nach den italienischen Wahlen

von Thomas Köhler 

Berlusconi oder Veltroni? Wenn am kommenden Sonntag in Italien vorgezogene Wahlen stattfinden, bewirbt sich alter Wein in neuen Schläuchen. Silvio Berlusconi, Medienmogul und Ex-Ministerpräsident, sowie Walter Veltroni, Ex-PCI-Apparatschik und bis vor Kurzem Bürgermeister von Rom. Berlusconis „Popolo della Libertà“ steht Verltronis „Partito Democratico“ gegenüber. Ins „Centro-Destra“ des Moguls wurden Silvio Berlusconis eigene “Forza Italia” und Gianfranco Finis „Alleanza Nazionale“ gezwängt, ins „Centro-Sinistra“ des Apparatischiks Walter Veltronis eigene Postkommunisten und linksgerichtete Christdemokraten. Die Vorgeschichte dieser Entwicklung reicht weit zurück, bis in die Gegenwart wirkt sie nach.
 
Heuer gedenkt Italien des vor 30 Jahren ermordeten Aldo Moro. Der ehemalige Ministerpräsident und Vorsitzende der Democrazia Cristiana (DC) war 1978 nach Entführung und rund 50 Tage dauerndem Gefängnis von den linksextremen Roten Brigaden ermordet worden. Dabei ging es weniger um den von den „Brigate Rosse“ konstruierten Bezug zum Erbe von 1968. Vielmehr wollten die Linksextremen jenen Mann tödlich treffen, der wie kein anderer in seiner Bewegung, worin er dem Flügel der „Democrazia Cristiana Sinistra“ angehörte, für den Historischen Kompromiss zwischen Christdemokratie und Kommunismus gestanden war. Das suchten die bewaffneten Gruppen der extremen Linken zu verhindern. In der Tat bildete der Mord an Moro, dem intellektuellem und sensiblen Universitätsprofessor, den Schluss der Annäherung zwischen den Lagern. Enrico Berlinguer, Aldo Moros Pendant als Vorsitzender des Partito Comunista, starb weniger Jahre später.
 
Sich von ihrer hehren Theorie ab- und ihrer dumpfen Praxis zuwendend, unterstützte die DC in den 1980er Jahren das korrupte System des Sozialisten Bettino Craxi. Aus dem Schatten der gleichen Logen kommend, machte sich nun erstmals Silvio Berlusconi bereit, in die Politik zu gehen: weniger aus Lust an Inhalten denn an Geld, Macht und Ruhm. „Moriate democristiani“ (Sterbt Christdemokraten) war sein bald nicht mehr inoffizielles Motto. Tatsächlich brach mit dem Aufdecken der Korruption zu Beginn der 1990er Jahre („Mani Pulite“) nicht nur die Democrazia Cristiana zusammen, sondern auch die von ihr durchwegs dominierte „Prima Repubblica“.
 
Auch Craxi war gescheitert, nicht aber Berlusconi. Die Zweite Republik trägt seine und seines Widersachers Züge, des aus der Schule Aldo Moros kommenden linken Christdemokraten Romano Prodi. Was Moro gehabt hatte, nämlich Charisma, fehlte seinem Schüler jedoch. Seriosität gilt in der medialen Demokratie von heute wenig. Gegen Berlusconi hatte Prodi wenig Chancen. Sein Vermächtnis bleibt ein anderes: nicht das des Ministerpräsidenten, sondern eines Vollenders des Historischen Kompromisses seines Lehrers in Form des Partito Democratico. Denn darin finden sich eben nicht nur zu Sozialdemokraten mutierte Postkommunisten, sondern auch sozialliberale Christdemokraten. Formal haben beide Flügel der neuen Demokratischen Partei gleiche Rechte. Wie stark Prodis Erben (Dario Franceschini etc.) darin aber wirklich sind, wird die Zukunft weisen. Der mögliche Beitritt des ganzen Partito Democratico zur SPE-Fraktion im Europäischen Parlament wäre jedenfalls ein falsches Signal, denn dort sitzen nicht nur moderne Sozialliberale, sondern auch biedere Sozialisten.
 
Eben darauf setzt der Agnostiker Berlusconi, wenn er posaunt, nicht die Demokratische Partei, sondern sein „Popolo della Libertà“ sei die wahre Heimat der politisch engagierten Christen. Sein Lugen nach rechts freilich – er wollte auch Mussolini-Enkelin Alessandra (der sogar Fini zu links war) an Bord holen – verschreckte seinen ehemaligen Partner, den Chef der rechtsgerichteten Christdemokraten Pierferdinando Casini. Effekt: Dessen Partei schied aus Berlusconis Bündnis aus und wird nun bei den Wahlen als „dritter Pol“ der Mitte eigenständig kandidieren. Sie könnte das Zünglein an der Waage werden.

Denn Berlusconis Sieg ist nicht sicher. Sein Vorsprung in den Meinungsumfragen schwindet Tag um Tag. Noch dazu verbirgt Veltroni seinen Apparatschik hinter jugendlicher Maske. Wer auch immer aber hier und heute die Wahlen gewinne, so die vox populi, es werde sich nichts ändern, denn alle waren schon einmal da. Eine Verklärung setzt ein: Nicht nur im Gespräch in römischen Bars und Restaurants, mit Taxi-Fahrern oder Hotel-Portiers, mit Journalisten und Wissenschaftern wird der Ruf nach den guten alten Zeiten laut. Die Democrazia Christiana, ja das wäre doch eine Partei gewesen, und Aldo Moro, ihr aktueller Märtyrer, eine Person mit Anstand.

Leider war auch er, um der Wahrheit genüge zu tun, ein Kind des Systems, aller Intellektualität und Sensibilität zum Trotz, und seine Partei das beste Beispiel in Europa, dass Programm nicht immer Realität wird, auch wenn der Name genial ist und bleibt.

Dr. Thomas Köhler arbeitet wissenschaftlich und künstlerisch. Im Herbst gibt er gemeinsam mit Christian Mertens, Christoph Neumayer und Michael Spindelegger das Buch „Stromabwärts: In Mäandern zur Mündung – Christdemokratie als kreatives Projekt“ als Folgeband zu „Stromaufwärts – Christdemokratie in der Postmoderne des 21. Jahrhunderts“, beide Böhlau, heraus.

 
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